Mein Eigentum

[302] In seiner Fülle ruhet der Herbsttag nun,

Geläutert ist die Traub und der Hain ist rot

Vom Obst, wenn schon der holden Blüten

Manche der Erde zum Danke fielen.


Und rings im Felde, wo ich den Pfad hinaus,

Den stillen, wandle, ist den Zufriedenen

Ihr Gut gereift und viel der frohen

Mühe gewähret der Reichtum ihnen.


Vom Himmel blicket zu den Geschäftigen

Durch ihre Bäume milde das Licht herab,

Die Freude teilend, denn es wuchs durch

Hände der Menschen allein die Frucht nicht.


Und leuchtest du, o Goldnes, auch mir, und wehst

Auch du mir wieder, Lüftchen, als segnetest

Du eine Freude mir, wie einst, und

Irrst, wie um Glückliche, mir am Busen?


Einst war ichs, doch wie Rosen, vergänglich war

Das fromme Leben, ach! und es mahnen noch,

Die blühend mir geblieben sind, die

Holden Gestirne zu oft mich dessen.


Beglückt, wer, ruhig liebend ein frommes Weib,

Am eignen Herd in rühmlicher Heimat lebt,[303]

Es leuchtet über festem Boden

Schöner dem sicheren Mann sein Himmel.


Denn, wie die Pflanze, wurzelt auf eignem Grund

Sie nicht, verglüht die Seele des Sterblichen,

Der mit dem Tageslichte nur, ein

Armer, auf heiliger Erde wandelt.


Zu mächtig, ach! ihr himmlischen Höhen, zieht

Ihr mich empor, bei Stürmen, am heitern Tag

Fühl ich verzehrend euch im Busen

Wechseln, ihr wandelnden Götterkräfte.


Doch heute laß mich stille den trauten Pfad

Zum Haine gehn, dem golden die Wipfel schmückt

Sein sterbend Laub, und kränzt auch mir die

Stirne, ihr holden Erinnerungen!


Und daß mir auch, zu retten mein sterblich Herz,

Wie andern eine bleibende Stätte sei,

Und heimatlos die Seele mir nicht

Über das Leben hinweg sich sehne,


Sei du, Gesang, mein freundlich Asyl! sei du,

Beglückender! mit sorgender Liebe mir

Gepflegt, der Garten, wo ich, wandelnd

Unter den Blüten, den immerjungen,


In sichrer Einfalt wohne, wenn draußen mir

Mit ihren Wellen allen die mächtge Zeit,

Die Wandelbare, fern rauscht und die

Stillere Sonne mein Wirken fördert.
[304]

Ihr segnet gütig über den Sterblichen,

Ihr Himmelskräfte! jedem sein Eigentum,

O segnet meines auch, und daß zu

Frühe die Parze den Traum nicht ende.

Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 1, Stuttgart 1946, S. 302-305.
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