Jägerlied

[455] Hans, Hans der edle Hirsch ist todt!

Die Thierwelt klagt um ihn,

Und wer ihm Trank und Speise bot,

Seufzt kläglich: Hans ist hin.[455]


Der Jäger singt ein banges Lied,

Es horcht der Wald umher;

Denn Hans, der Stolz der Solitude,

Karls Liebling ist nicht mehr.


Weiß wie das Licht war unser Hans,

Ein Bild aus Duft gewebt,

Versilbert von des Mondes Glanz,

Das auf dem Hügel schwebt,

Wie Ossian in stummer Nacht

Oft vor sich schimmern sah;

Stand kaum in solcher Wunderpracht,

Wie Hans der Edle da.


Doch seine vierzehn Enden nicht

Und seiner Farbe Glanz

Besinge unser Klaggedicht;

Weit edler war der Hans.

So liebt' kein Menschenphilosoph

Wie er, die Einsamkeit;

Drum hat er das Geräusch am Hof

Der Hirschewelt gescheut.


Nur einen Freund hat er gewählt;

Hans dachte so dabei:

Wer viele Hirschefreunde zählt,

Dem ist oft keiner treu.

Auch war er schamhaft, war so keusch

In seinem Lebenslauf,

Und ohne brausendes Geräusch

Sucht er die Hirschkuh auf.


Noch mehr liebt' Hans die Menschen all,

War ihnen hold und treu,

Und flog, gelockt durch Pulverknall,

Wie Lichtesstrahl herbei.

Beleidigte die Menschen nie,

Nahm Speis' aus ihrer Hand,

Und legt sich freundlich unter sie,

Als hätt' er auch Verstand.[456]


Doch immer dacht' er groß und frei,

(Wer frei denkt, denkt auch groß)

Und drohte man mit Sklaverei,

Riß er sich muthig los.

So gern er fraß, so zog er doch

Des bittern Hungers Tod

Weit vor dem niedern Sklavenjoch,

Womit man ihn bedroht.


Und doch – auch edle Hirsche drückt

Die Last der Eitelkeit –

Hat er zwölf Lenze nur erblickt;

Wie kurz war seine Zeit!

Verendet hat das edle Thier,

Ein Frühlingslüftchen kam,

Das unsern Hansen sanft von hier

Ins Reich der Schatten nahm.


Auf einem Karren führen ihn

Die Jäger nun zur Ruh',

Und scharren mit betrübtem Sinn

Den todten Hansen zu.

Die guten Jäger stehen stumm,

Ihr Hans hat nun verend't;

Und pflanzen um sein Grab herum

Ein Hirschenmonument.


Die junge Eiche lieblich steht,

Streut Blätter auf sein Grab;

Der Fruchtbaum, wenn ein Lüftchen weht,

Wirft goldne Frucht herab;

Der Rosenstock verbreitet Duft

Im Frühlingssonnenglanz.

Das Jagdlied klagt: In dieser Gruft

Verwes't der edle Hans.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 455-457.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
S Mmtliche Gedichte, Volume 1
S Mmtliche Gedichte, Volume 3
Gedichte. Aus der

Buchempfehlung

Droste-Hülshoff, Annette von

Ledwina

Ledwina

Im Alter von 13 Jahren begann Annette von Droste-Hülshoff die Arbeit an dieser zarten, sinnlichen Novelle. Mit 28 legt sie sie zur Seite und lässt die Geschichte um Krankheit, Versehrung und Sterblichkeit unvollendet.

48 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon