Lottens Wiegenfest

[420] (Deklamation.)


Wie war dir's, Lotte, als dein Wiegenfest

Mit Purpurschwingen um dich spielte,

Und wie im Rosenthal der West

Die Gluth auf deiner Wange kühlte?

Wie war dir's, als dein Genius

Mit weichen Lippen dir den Kuß

Der Huldigung auf deine Stirne drückte,

Und mit dem Blick voll Zärtlichkeit,

Mit hoher Andacht, Gott geweiht,

Aus weißem Duft gen Himmel blickte?

Wie war dir's? Lotte, sprich!

Wie mir es ist an deinem Tage?

Das frägst du mich? – vergeblich ist die Frage.

O Lotte, denke dran, wie zärtlich lieb' ich dich!

Da sitz' ich schon am goldbesaiteten Flügel

Und singe meinen Wunsch und meiner Liebe Schmerz!

O Muse, komm von deinem Sonnenhügel

Und hauche mein Gefühl in meiner Lotte Herz!


(Gesang.)


Die du mit rosigem Finger

Herzen der Liebenden lenkst,

Die du dem fühlenden Sänger

Große Empfindungen schenkst;

Cypria, komm aus der Grotte,

Wo du den Busen dir kühlst,

Sing meiner liebenden Lotte

Lieder, so süß, wie du fühlst.


Heute war Lotte geboren,

Cypria, heute hast du

Sie zur Gespielin erkoren;

Grazien sahen dir zu.[420]

Neidisch erblickten sie Lotte,

Lotte gekoset von dir,

Sprachen zu Amor, dem Gotte:

Gibt es der Grazien vier?


Bilderin jeder Empfindung,

Die mir die Holde geweiht!

Stifterin treuer Verbindung,

Die mich und Lotten erfreut!

Knüpfe sie ewig, die Bande,

Ewig sei Lotte für mich;

Untreu', o Göttin! ist Schande,

Treue ist Ehre für dich.


Götter der Liebe, haucht süße,

Himmlische Düfte um sie;

Streut ihr Violen, die Füße

Lottens zerknicken sie nie.

Führt sie auf grünere Matten,

Hitze versenget das Land,

Wölbet ihr stärkere Schatten,

Thaut ihr den brennenden Sand.


Führet mich selber zur Holden,

Daß ich die Strahlen vom Licht,

Wie sie ihr Antlitz vergolden,

Sehe im schönen Gesicht.

Daß ich die Thränen der Freude

Küsse vom schimmernden Blick;

Daß ich noch inniger heute

Fühle der Liebenden Glück.


Daß ich halbstammelnd ihr sage:

Lotte, wie lieb bist du mir!

Daß ich sie tausendmal frage:

Hab' ich auch Liebe von dir?

Daß sie verstummt und mit Küssen

Glühend zu sagen mir scheint:


Liebe besteht im Genießen!

Fragst du noch, trautester Freund?

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 420-421.
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